Musings

Erlebnisse, Gedanken und Fundstücke

5 Jahre

Der Kater ist angekommen.

Als ich im August 2004 nach langer und reiflicher Überlegung entschieden hatte, eine Katze anzuschaffen, war klar, es muss eine aus dem Tierheim sein. Ich war angenehm überrascht zu sehen, dass auf der Homepage des Tierheims Berlin aktuell zu vermittelnde Katzen (und andere Tiere) mit Fotos und ihrer Geschichte kurz vorgestellt werden. Ich stöberte dort ein wenig – und verliebte mich Hals über Kopf in diesen Blick:

Kater "Shell" im Tierheim Berlin

Kater “Shell” im Tierheim Berlin (Foto: Tierheim Berlin, 2004)

Der Text dazu ließ noch nicht ahnen, was für ein Schicksal der kleine Kerl hinter sich hatte:

Vermutlich ausgesetzt wurde Shell.
Der British-Kurzhaar-Mix-Kater wird auf 5 Jahre geschätzt. Da er sehr schüchtern ist, sollte er nur in einen ruhigen, kinderlosen Haushalt ohne andere Tiere einziehen.

An einem Freitag im August fuhr ich mittags nach Falkenberg ins Berliner Tierheim und war sehr angetan von der modernen, großzügigen Anlage – ganz anders als das viel zu kleine ehemalige Tierheim Lankwitz, das mir immer irgendwie vollgestopft erschien.

Der erste Tierpfleger, der mir in einem der beiden Katzenhäuser (“Samtpfötchen”) über den Weg lief, hatte anscheinend wenig Verständnis dafür, dass ich mir “meine” Katze vorab im Internet “ausgesucht” hatte, und pries mir ein paar Schmusekatzen an, die mir aber alle zu aufdringlich waren – ich schätze Katzen (und Menschen), die sich nicht gleich an einen “ranschmeißen”, sondern einen erstmal kennenlernen wollen, bevor sie entscheiden, einem zu vertrauen.

Außerdem wollte ich keine Schmusekatze, ich wollte “Shell”! Den kannte der Tierpfleger aber nicht und verwies mich ins Nachbarhaus “Garfield”. Dort geriet ich an eine äußerst nette und kompetente Tierpflegerin, die meinen Wunsch respektierte, aber mich gleich warnte: Viele wollten diesen Kater schon mitnehmen, weil er so ein hübscher Kerl sei, aber es gebe da einige Probleme, deswegen hätten alle Abstand genommen. Bevor sie mir davon erzähle, solle ich ihn aber ruhig erstmal anschauen.

Katerchen hatte beschlossen, heute nicht besichtigt werden zu wollen und verkroch sich in seinem Korb, aus dem heraus er uns beide misstrauisch beobachtete. Für mich war es zu spät; ich hatte mein Herz an dieses Tier verloren, und es war mir egal, was da noch für Schwierigkeiten auf mich warteten.

Während wir uns zusammen in die offene Käfigtür setzten – vielleicht würde er ja doch neugierig werden und gucken kommen? – erzählte mir die Tierpflegerin seine Geschichte:

Kater “Shell” war von Passanten schwer verletzt in einer Tierarztpraxis im Berliner Norden abgegeben worden; der Tierarzt hatte angesichts der schweren Verletzungen das Tier sofort ins Tierheim zur Not-OP geschickt. Ob der Kater aus großer Höhe gestürzt oder angefahren worden war, ließ sich nicht ermitteln, auf jeden Fall ging es ihm schlecht: der rechte Oberschenkelknochen war völlig zertrümmert und musste mit einer Titanplatte fixiert werden, die Lunge war gequetscht (Traumatischer Pneumothorax) und die beiden Fangzähne auf der rechten Seite mussten entfernt werden. Dazu kam ein schwerer Schock, der mehrwöchige Aufenthalt in der Tierklinik und ein möglicherweise haltungsbedingtes Misstrauen gegen Menschen im Allgemeinen.

Er ließ sich nicht anfassen, flüchtete, sobald sich ihm jemand näherte und ließ sich vom Tierarzt nur unter Narkose behandeln. Die Tierpflegerin machte mir einerseits Hoffnung, mit viel Geduld könnten “solche” Katzen durchaus sehr zutraulich werden, andererseits könne natürlich niemand Garantien übernehmen, dass er sich überhaupt jemals streicheln lassen würde.

Ich sollte mir das Ganze nochmal in Ruhe überlegen, der Kater würde sowieso nur nach einem Gespräch des Interessenten mit dem behandelnden Tierarzt abgegeben werden, und der sei erst Montag wieder im Hause.

Capu im Bett

Ein ganz anderer Blick – April 2009

Für mich gab es nichts zu überlegen, ich hatte mich bereits entschieden. Und der Kater wohl auch, denn als ich beim Gehen nochmal von außen durch die Glasscheibe in seinen Käfig schaute, hatte er den Kopf aus dem Körbchen gereckt und sah zu mir hinaus – jetzt schon eher neugierig als skeptisch.

Ich fuhr am Montag mit einem Transportbehälter erneut nach Falkenberg und sprach mit dem Tierarzt. Der war sehr nett, erklärte mir nochmal Art und Schwere der Verletzungen und wie die weitere Behandlung aussieht, deren Kosten vom Tierheim getragen werden, wenn ich sie dort durchführen lasse.

Im “Garfield”-Haus war die nette Tierpflegerin wieder da und fing Katerchen für mich ein – nachdem alle Verstecke aus seinem Käfig entfernt worden waren, sah er den Transportkorb als einzige “Rettung” vor uns an und kroch dort hinein. Sie versuchte, ihm (und mir) Mut zu machen, indem sie meinte “So, jetzt geht es nach Hause!”

Auf dem Heimweg gab er keinen Mucks von sich, “zu Hause” war alles vorbereitet: Klo, Fressen und Wasser standen bereit, ich stellte den Korb ab, öffnete ihn und verließ für einige Stunden die Wohnung, um ihm Gelegenheit zu geben, alles in Ruhe zu erkunden.

Als ich zurückkam, war der Kater spurlos verschwunden.
Am nächsten Morgen war er immer noch unsichtbar, aber das Fressen war weg, und das Klo war benutzt worden. Bestens!

Natürlich fand ich seine Verstecke schnell (unter dem Küchenschrank oder unter einem Bücherregal, ganz hinten an die Wand gepresst), aber ich störte ihn dort nicht. Ich zeigte ihm, dass ich wusste, wo er sich aufhielt, aber dass ich seinen Rückzug akzeptiere. Näherte ich mich nähr als einen Meter, fing er an zu knurren, also respektierte ich diesen “Sicherheitsabstand”. Was mich natürlich nicht hinderte, kleine Leckereien vor seinem Versteck zu deponieren, um ihm zu zeigen, dass er von mir nichts Böses zu erwarten hatte.

Ich sah von ihm nichts, außer ich legte mich platt auf den Boden und lugte in sein Versteck. Nachts war er allerdings auf Achse und fraß wie ein Scheunendrescher. Nach etwa einer Woche erwachte ich nachts von einem lauten Jaulen. Ich saß senkrecht im Bett und dachte “Die Katze! Was ist mit der Katze!?” Licht an, und unter dem Tisch sitzt ein zufriedener Kater und leckt sich das Maul. Es stellte sich heraus, dass der Kater “singt”, wenn ein Fressen besonders gut oder reichhaltig war. Nun gut.

Capu und sein Baum

MeinBaum ist der tollste…

Mit der Zeit stellten sich auch andere Lautäußerungen ein, denn der Kater ist sehr kommunikativ. Er miaut, mäht, gurrt, schreit, knurrt, fiept und summt. In allen Lautstärken und Tonlagen. Man hört, ob er zufrieden ist oder nicht. Er mault, nörgelt und schimpft, wenn ihn etwas nervt. Nur gefaucht hat er noch nie, das hebt er sich auf, wenn er urlaubsbedingt bei meiner Mutter “zu Besuch” ist.

Nach einem Monat musste er nochmal zum Tierarzt zum Röntgen. Er bekam eine Vollnarkose, weil es zwei Tierpflegerinnen nicht gelang, ihn festzuhalten. Insgeheim war ich Stolz auf meinen “Kampfkater”, der nicht vor Angst paralysiert war, sondern kämpfte, auch wenn ich natürlich den Pflegerinnen mein Mitgefühl für ihre zerkratzten Arme aussprach.

Nach der Narkose hatte ich erstmalig Gelegenheit, den kleinen Kerl zu streicheln – bis dahin hatte er immer den Sicherheitsabstand eingehalten und war nach Möglichkeit nicht in der Wohnung unterwegs, wenn ich wach war.

Es dauerte einen weiteren Monat, da gab er endlich meinen dauernden vorsichtigen Annäherungsversuchen nach und gab kurz Köpfchen an meiner Hand und schnurrte dazu! Mir ging natürlich das Herz auf. Von da an ging es kontinuierlich weiter. Er wurde immer zutraulicher, ließ sich nach einigen Monaten sogar schon kurz auf den Arm nehmen, suchte sich langsam tagsüber Schlafplätze außerhalb seiner Verstecke, strich mir beim Füttern um die Beine und fing an, sich zu “unterhalten”.

Zungenrollen

Mein Kater kann Zungenrollen! – Weil ihm rechts beide Fangzähne fehlen, rutscht beim Schlafen manchmal die Zunge raus, ohne dass er es merkt…

Natürlich gab es auch weniger schöne Aspekte unseres Zusammenlebens. Bis vor einem Jahr kam es immer wieder vor, dass eine Bettdecke oder ein Kopfkissen vollgepinkelt war; wir bekamen nie so ganz raus, was das zu bedeuten hatte und sind auch heute nicht sicher, dass diese Phase wirklich überwunden ist.

Außerdem hat der Kater vor unglaublich vielen Dingen Angst: Vor nackten Füßen in Sandalen. Vor stampfenden Schritten. Vor schwungvollen oder ruckartigen menschlichen Bewegungen (tanzen, drehen, schnell laufen). Vor dem Wedeln mit Kleidungsstücken, Decken oder Handtüchern. Vor fremden Menschen. Vor fremden Katzen, auch wenn sie nur halb so groß sind wie er.

Andererseits hat er kein Problem mit Gewittern oder Feuerwerk. Silvester lässt ihn kalt. Er findet es spannend, wenn auf der Straße eine Kita-Gruppe lärmend vorbeizieht, dann geht er ans Fenster gucken. Er liebt rhythmische Blasmusik oder wenn ich ihm etwas vorsinge. Er mag es, wenn ich, ihn auf dem Arm, mich rhythmisch hin und her bewege und ihn schaukele. Er liebt Blumen; wenn ich einen Blumenstrauß oder -topf mitbringe, ist die Freude immer riesengroß. Er frisst sie nicht, aber er riecht gerne ausgiebig an den Blättern und Blüten.

Er liebt seinen Platz an seinem “Baum”, einem dicken Ast, den wir in seinem ersten Herbst bei uns von einem Waldspaziergang mitgebracht haben. Sein Lieblingsspielzeug ist eine Rundstricknadel mit einem Kunststoffknopf am Ende – wenn man diese Nadel ein paar Wochen versteckt und sie dann wieder hervorholt, ist die Freude riesengroß.

Er ist ein absolut verträglicher Mitbewohner. Er hat seine Lieblingsplätze (Bett, Sessel), respektiert aber, wenn wir sie selber einnehmen und wartet geduldig auf seine Chance, den Platz zu übernehmen. Er begrüßt einen, als wäre er absolut entzückt, einen zu sehen, egal ob man aus dem Bett aufsteht, vom Einkaufen nach Hause kommt oder sich nach einem Kurzurlaub wiedersieht. Er trägt nichts nach. Wenn etwas schiefläuft, versteckt er sich eine Weile, kommt aber bald wieder versöhnlich an und akzeptiert Entschuldigungen großzügig und ohne Theater.

Er ist zwar verfressen, aber er bettelt nicht. Wenn wir essen, liegt er meist entspannt in der Nähe und döst (er liebt unsere Gesellschaft). Er möchte dabei sein, freut sich auch über ein paar leckere Häppchen, fordert sie aber nie ein. Selbst wenn wir ihn am Tisch füttern, sind ihm zwei, drei Bröckchen genug und er verzieht sich zufrieden.

Er ist ein absolutes Kuscheltier, ein Schmuseteddy. Gutmütig, geduldig, liebevoll. Sobald er mich sieht, schnurrt er. Er möchte zu jeder Tages- und Nachtzeit gestreichelt werden, kommt aber nie von selbst, um sich seine Streicheleinheiten abzuholen. Er lässt sich auf den Arm nehmen, bleibt auch gern ein bisschen dort, kommt aber nie auf den Schoß, wenn ich irgendwo sitze.

Am Sonntag war er fünf Jahre bei mir, und er hat das Jubiläum begangen, indem er mir großzügig die ganze Wohnung vollgekotzt hat (am Freitag hatte es frisches Gras gegeben).

Cappuccino ist nach Hause gekommen.

Cappuccino im April 2009

Cappuccino im April 2009

Comments are closed.